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Außerschulische Lernorte im Fokus

12.01.2024 / Das Gläserne Labor in Berlin bietet den Schüler:innen Einblicke in die Welt der Chemie, der Physik, der Moleküle und vieles mehr. Interview des vocatium magazins mit Teamleiterin Dipl.-Biol. Claudia Jacob.

Dipl.-Biol. Claudia Jacob im Kurs. Foto: Peter Himsel.
Dipl.-Biol. Claudia Jacob im Kurs. Foto: Peter Himsel.

IfT: Wir sind im Gespräch mit Claudia Jacob, Teamleiterin des Gläsernen Labors am Wissenschafts- und Biotechnologiepark Campus Berlin-Buch. Können Sie uns zum Einstieg kurz beschreiben, was das Gläserne Labor eigentlich ist? Und warum „gläsern“?

„Unser Ziel ist es, Einblicke in die Arbeit der Labore zu geben, aber auch zu zeigen, was die Forschung überhaupt macht.“

Claudia Jacob: Das Gläserne Labor ist ein außerschulischer Lernort, und wir sind Teil eines Netzwerkes von Schülerlaboren in Deutschland. Nicht nur in Berlin-Brandenburg, sondern deutschlandweit. Unser Ziel ist es, Einblicke in die Arbeit der Labore zu geben, aber auch zu zeigen, was die Forschung überhaupt macht. Das wollen wir widerspiegeln und versuchen, mit unserer Arbeit den gesamten Forschungscampus zu repräsentieren. Mit „gläsern“ ist dabei nicht gemeint, dass das Gebäude gläsern ist, sondern dass wir die Forschungsarbeit auf unserem Campus transparent machen möchten.

IfT: Wie kam es zu der Idee, das Gläserne Labor zu gründen? Das war schon 1999, damals waren solche Angebote ja noch nicht so gängig wie heute.

Jacob: Wir waren eines der ersten Schülerlabore. Ende der 90er Jahre wurde das Thema Molekularbiologie durchaus etwas skeptisch gesehen, weil sich viele darunter kaum etwas vorstellen konnten. Wie wichtig diese Grundlagenforschung ist und welches Ziel sie hat, sollte der Öffentlichkeit in einem Labor demonstriert werden. Die Initiative dafür kam von Prof. Detlev Ganten, dem Wissenschaftlichen Vorstand des Max Delbrück Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft, und Dr. Gudrun Ergräber, der Geschäftsführerin der Campusbetreibergesellschaft.

Im Gläsernen Labor sollten Laien einfache Experimente selbst durchführen und im Austausch mit den Wissenschaftler*innen die Molekularbiologie besser verstehen. Das Angebot war für die Bevölkerung gedacht, aber de facto meldeten vor allem Lehrer*innen ihre Klassen für die Kurse an. Dies ist der Grund, warum wir heute ein Schülerlabor sind! Anfangs starteten wir mit einem Labor, jetzt sind es sechs.

„Gerade die praktische Arbeit bietet für viele die Chance, der Lehrkraft zu zeigen: In mir steckt auch eine Seite, die du noch gar nicht kennst!“

IfT: Unter dem Dach des Gläsernen Labors vereinen sich eine ganze Reihe von Fachbereichen, also etwa Neurowissenschaften, Ökologie, Chemie und noch einige andere. Um sich das aber etwas konkreter vorstellen zu können: Mit welchen Herausforderungen konfrontieren Sie die Schülerinnen und Schüler, wenn die Schulklassen zu Ihnen kommen? Was kann ich bei Ihnen beispielsweise erleben?

Jacob: Wir haben unterschiedliche Module, wobei unser klassisches Modul vier Stunden umfasst. Heute muss ich sagen: Vier Stunden konzentriert zuzuhören, zu arbeiten und vielleicht selbst etwas zu präsentieren, ist eine große Herausforderung. Andererseits denke ich, dass es ganz interessant sein kann, mal in einen Kittel zu schlüpfen, die Rolle als Schülerin oder Schüler zu verlassen und stattdessen in die Rolle von Technischen Assistenten*innen oder Wissenschaftler*innen zu schlüpfen. Gerade die praktische Arbeit bietet für viele die Chance, der Lehrkraft zu zeigen: In mir steckt auch eine Seite, die du noch gar nicht kennst! Eine große Herausforderung besteht für uns darin, dass die Wissenschaft so schnell voranschreitet und sehr komplex ist. Wie kann man die neuen Erkenntnisse vereinfacht darstellen, ohne sie falsch wiederzugeben? Für uns ist besonders wichtig, dass alles, was wir vermitteln, eine Verbindung zur Forschung hat, die auf unserem Campus stattfindet, und dass die Schülerinnen und Schüler das auch verstehen.

„Unsere Aufgabe besteht darin, Forschung so zu verpacken, dass sie einen interessanten und spannenden Inhalt für den Lehrauftrag bietet.“

IfT: Wie werden die Experimente für die Schülerinnen und Schüler entwickelt? Gehen Sie von der Machbarkeit des Experiments aus, oder haben Sie ein Thema und überlegen dann, wie es umsetzbar ist?

Jacob: Das kann ganz unterschiedlich sein. Beispielsweise hat uns die Stiftung der Kinderdemenz (NCL) gefragt, ob wir nicht etwas zu ihrem Thema machen können. Wir fanden das großartig und haben es dann umgesetzt. Dabei ist ganz wichtig, dass sich die Ideen für unsere Experimente an Angebot und Nachfrage orientieren. Wenn wir uns ein Angebot ausdenken, das keiner nachfragt, funktioniert es nicht. Wir orientieren uns deshalb am Rahmenlehrplan, an dem sich die Lehrkräfte orientieren. Unsere Aufgabe besteht darin, Forschung so zu verpacken, dass sie einen interessanten und spannenden Inhalt für den Lehrauftrag bietet. Beispielsweise kennt jeder durch Corona den PCR-Test, der auch in den Schulbüchern steht. Das Wichtige ist, dass man ihn auch einmal selbst gemacht hat, um zu wissen, worum es sich dabei handelt und was er bedeutet. Oder aber man findet in den Büchern viele Informationen über die Gelelektrophorese. Was das aber tatsächlich ist und wie sie konkret aussieht, können wir bei uns im Labor praktisch erarbeiten. Weil wir selbst Wissenschaftler und keine Pädagogen sind, werden wir glücklicherweise von Lehrer*innen unterstützt, die einen Blick darauf haben, ob das, was wir machen, pädagogisch und didaktisch sinnvoll ist. Sie arbeiten, abgeordnet von ihren Schulen, stundenweise bei uns mit.

„Für mich ist es das Schönste, wenn ich die jungen Leute ein Stück auf ihrem Weg begleiten kann.“

IfT: Welches Feedback bekommen Sie von den Schülerinnen und Schülern?

Jacob: Von den Schülerinnen und Schülern erhalten wir ganz unterschiedliche Resonanz. Für mich ist es das Schönste, wenn ich die jungen Leute ein Stück auf ihrem Weg begleiten kann. Es gibt einige, die während der Grundschulzeit zu unseren Forscherferien gekommen sind und während Oberstufe Schülerkurse besucht haben. Wir bieten Projektwochen sowie Schul- und Berufspraktika an, begleiten „Jugend forscht“ und die fünfte Prüfungskomponente für das Abitur – all dies sind mögliche Berührungspunkte. Wenn die jungen Leute dann auch noch naturwissenschaftliche Fächer studieren und während der Bachelorarbeit bei uns als Dozenten tätig sind, ist das für mich das beste Feedback. Weil aber nicht alle studieren können oder wollen, ist für mich besonders wichtig, ein allgemeines Verständnis für die Naturwissenschaft zu schaffen. Dabei ist es völlig in Ordnung, wenn die jungen Leute zu mir sagen: Es war nett bei Ihnen, aber für mich steht fest, dass ich nicht Naturwissenschaften studieren werde. Die Laborarbeit nichts für mich, aber ich verstehe jetzt, was Sie hier machen. Auch das ist für mich eine gute Resonanz.

IfT: Verhalten sich Schülerinnen anders als Schüler?

Jacob: Vor 20 Jahren hätte ich Ihnen gesagt: ja! Aber heute kann ich gar keinen Unterschied mehr feststellen. Ich denke, in dieser Hinsicht hat sich viel getan. Früher war es eher so, dass die Schülerinnen die Versuchsanweisungen erst einmal durchgelesen und dazu gezielt Fragen gestellt haben. Die Schüler hingegen haben den Versuch erstmal gestartet und dann festgestellt, dass es so nicht funktioniert. So ist das nicht mehr. Vielleicht noch eine kritische Anmerkung von mir: Die Konzentrationszeitspanne und die Lesekompetenz der Schüler*innen haben sich durch die digitale Welt geändert. Entsprechend haben wir unsere Versuchsanleitungen überarbeitet, um sicherzustellen, dass alles kurz und prägnant ist.

IfT: Sie haben es ja vorhin schon angesprochen, aber noch einmal konkret die Nachfrage: Wie gut können die Lehrkräfte Ihr Angebot in den Lehrplan integrieren? Oder versteht es sich einfach als Ausflug und Einblick in die Welt der naturwissenschaftlichen Forschung?

Jacob: Wir passen unser Angebot stets dem Rahmenlehrplan an, ein Ausflug soll der Besuch bei uns nicht nur sein. Es ist immer gut, wenn die Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler vorbereiten. Oft ist es so, dass die Inhalte in Klausuren abgefragt werden oder Referate dazu gehalten werden sollen. Bei unseren neueren Experimenten – wie CRISPR/Cas (Genschere) – können die Schüler*innen die Ergebnisse per Webcam betrachten, damit sie sie im Nachhinein auswerten können. Die Bakterien, mit denen sie gearbeitet haben, benötigen noch einige Stunden, um zu wachsen. So können die Schüler das Ergebnis ihres Experiments am Tag darauf weiterverfolgen. Auch bei der bereits angesprochenen Gelelektrophorese werden die Bilder nach dem Kurs an die Schüler versendet. Wir wünschen uns – und erhalten von vielen Lehrkräften auch ein entsprechendes Feedback –, dass unsere Inhalte im Unterricht nachhaltig genutzt werden.

„Oftmals sind Schüler*innen mit dem großen Angebot überfordert. Wir bieten deshalb auch ein Freiwilliges Ökologisches Jahr an, bei dem sie ein Jahr lang die Möglichkeit haben zu schauen, was sie wirklich machen wollen.“

IfT: Im Mittelpunkt steht natürlich das Gläserne Labor selbst, aber Sie bieten noch eine ganze Reihe weiterer Möglichkeiten an. Was kann ich als Schülerin oder Schüler und auch als Lehrkraft bei Ihnen außerdem machen?

Jacob: Für Schülerinnen und Schüler, die nach unseren Kursen feststellen, dass sie Interesse an Experimentieren haben und sich vorstellen können, es weiterzuverfolgen, bieten wir während der Ferien Projektwochen an. In diesen arbeiten sie schon deutlich wissenschaftlicher. Sie erhalten von uns Fragestellungen oder sollen selbst Hypothesen aufstellen. Sie arbeiten praktisch, dokumentieren ihre Arbeit, werten sie aus und gestalten anschließend ein wissenschaftliches Plakat. Wir versuchen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einzuladen, denen sie ihr Projekt dann präsentieren können – teilweise auf Englisch, weil wir international sind. Das wäre etwa ein Modul für junge Leute, die sich fragen, ob sie nach dem Abitur eine Ausbildung machen oder besser gleich studieren sollen.

Oftmals sind sie mit dem großen Angebot überfordert. Wir bieten deshalb auch ein Freiwilliges Ökologisches Jahr an, bei dem sie ein Jahr lang die Möglichkeit haben zu schauen, was sie wirklich machen wollen. In diesem Jahr versuchen wir herauszufinden, ob eine Ausbildung in den Naturwissenschaften – beispielsweise in der Radiologie oder als Chemielaborant*in – für sie infrage kommt, oder ob ein Lehramtsstudium in den Naturwissenschaften interessant sein könnte. Schon für Grundschulkinder gibt es Angebote, für einen Tag zu uns zu kommen. Außerdem bieten wir die Teilnahme an „Jugend forscht“ an. Dabei unterstützen wir die Schülerinnen und Schüler aus unserer Region und sind ihre Ansprechpartner. Darüber hinaus gibt es bei uns sowohl für Lehrkräfte als auch für pädagogische Fachkräfte zahlreiche Fortbildungen.

„Wir wollen die Lehrkräfte gerne unterstützen und deshalb Experimente anbieten, die sie auch in der Schule umsetzen können.“

IfT: Wie erwähnt, ist das Labor 1999 gegründet worden, damit steht 2024 das 25-jährige Jubiläum an. Dazu erstmal herzlich Glückwunsch! Haben Sie besondere Kurse oder Veranstaltungen geplant?

Jacob: Vielen Dank, wir freuen uns schon sehr auf das 25-jährige Jubiläum! Zu diesem Anlass wollen wir gemeinsam mit dem Berlin-Brandenburg Schülernetzwerk GenaU und dem Verband der Nordostchemie einen großen, ganztägigen Lehrerkongress auf die Beine stellen. Dabei geht es auch um MINT-Nachwuchs. Unser Schwerpunkt wird die Frage sein, was man gegen den Fachkräftemangel in diesem Bereich tun kann. Wir laden etwa 120 Lehrerinnen und Lehrer ein, die dann die Möglichkeit haben, sich zwei von 20 Workshops auszusuchen. Es ist geplant, den Kongress mit einer Plenumsdiskussion ausklingen zu lassen und anschließend mit den Lehrkräften, unseren Dozenten und allen, die uns unterstützen, zu feiern. Außerdem hat sich im Rahmenlehrplan der Biologie etwas geändert: Mehr Chemie und Enzymatik sind gefordert. Hierbei wollen wir die Lehrkräfte gerne unterstützen und deshalb Experimente anbieten, die sie auch in der Schule umsetzen können. Wir haben uns zudem überlegt, ob wir nicht die Digitalisierung noch ein Stück weiter forcieren und ein Angebot für Schülerinnen und Schüler entwickeln wollen, mit dem wir 2024 starten. Ferner ist angedacht, die Schüler.innen verstärkt mit Tablets arbeiten zu lassen. So kann man das Tablet zum Beispiel gut als Photometer [Instrument zur Lichtstärkemessung, Anm. d. Red.] benutzen, dass eigentlich ein Laborgerät ist. Vielleicht lassen wir uns auch zur „Langen Nacht der Wissenschaften“ etwas Besonderes einfallen.

IfT: Zum Schluss noch die Frage: Was ist Ihr persönliches Lieblingsexperiment oder Lieblingsthema im Gläsernen Labor?

Jacob: Es ist nicht ganz leicht, das zu beantworten. Für mich hängt das auch ein wenig von der Jahreszeit ab und davon, was ich gerade wiederentdeckt habe. Jetzt, in der Winterzeit ist es ein einfaches Experiment mit einem tollen Effekt: Seifenblasen im Freien gefrieren lassen. Das sieht wirklich sehr schön aus. Außerdem ist das Herz für mich ein sehr spannendes Organ. Es ist immer wieder faszinierend zu zeigen, was man daran erkennen kann und warum unser Herz so wichtig ist. Wenn man sich etwa vor Augen führt, dass das eigene Herz das ganze Leben lang ununterbrochen pumpt, ist das eine echte Meisterleistung! Um das zu veranschaulichen, öffnen wir ein Hühnerherz mit zwei Schnitten und können dann die lebensnotwendigen Ventile – die Taschenklappe und die Segelklappe – untersuchen. Und auch wenn dies für eine Biologin ein wenig überraschend klingen mag, halte ich die Radioaktivität für ein sehr interessantes Naturphänomen.

IfT: Wie sind Sie darauf gekommen?

Jacob: Die Eckert & Ziegler AG auf dem Campus Berlin-Buch, die das Gläserne Labor auch unterstützt, stellt radioaktive Präparate her. Auf ihre Anregung hin haben wir das Thema Radioaktivität für die Schüler*innen aufbereitet. Das sind sehr spannende Inhalte.

IfT: Vielen Dank für das Interview!

(ps)

Quelle :vocatium magazin
Interview des vocatium magazins mit Teamleiterin Dipl.-Biol. Claudia Jacob
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